Die Augenzeugen des Klimawandels

Fallbeispiel

Fischarten wie Kabeljau und Schellfisch wandern weiter nach Nordosten, während Makrelen aus dem Süden immigrieren. Laichzeit und Laichgebiete verschieben sich. Die Anzahl und Verbreitung von Seevögeln und Meeres­säugern sind im Wandel begriffen. Beschäftigte aus Fischerei und Tourismus in Nordnorwegen spüren bereits, wie Auswirkungen des Klimawandels ihre Heimat und ihre Einkommensquellen verändern. Die Region gehört zur Barentssee, einem Teil des Nordpolarmeers, der bis jetzt von einem Reichtum an Fisch und dem Klima der hohen Breiten gekennzeichnet war. Aber die Wassertemperaturen der Barentssee steigen beträchtlich, und die Ozeanver­sauerung wird dort im Verlauf dieses Jahrhunderts vergleichsweise stark zunehmen.

Aus diesem Grund wählten BIOACID-Forschende die Barentssee-Region aus, um die Auswirkungen des globalen Wandels auf jene gesellschaftlichen Gruppen zu unter­suchen, die auf den Ozean angewiesen sind, und ihre Anpassungschancen abzuschätzen. In Workshops und Interviews gaben Beschäftigte der lokalen Küstenfischerei, Fischerei-Vereinigungen, maritime Tourismusunternehmen und Umweltorgani­sationen, sowie Vertreterinnen und Vertreter indigener Kulturen und staatliche Behörden den Forschenden Einblick in ihre Beobachtungen, Sorgen und Interessen.

Dieses Wissen aus erster Hand bildete die Grundlage eines integrativen Modells, das später gemeinsam mit den Stakeholdern beurteilt wurde. So wurde deutlich, wie Ozean­versauerung und -erwärmung das marine Ökosystem in der Barentssee verändern, in welcher Weise Menschen und Unternehmen betroffen sein können, und wie sie sich an die Veränderungen anpassen können.

Wenn sich Fischbestände von der Küste ins offene Meer verlagern, können die Boote der traditionellen Kleinfischerei ihnen nicht mehr folgen. Wer keine Arbeit verlieren möchte, wäre gezwungen, umfangreiche Investitionen zu tätigen, um die Ausrüstung anzupassen. Sportfischerei und Walbeobachtung könnten aufgrund größerer Distanzen zu aufwändig werden. Anbieterinnen und Anbieter von Touren könnten daher gezwungen werden, auf andere Aspekte des Natur- und Aktivurlaubs auszuweichen. Auf der anderen Seite vertrauen die großen Fischereiunternehmen darauf, dass
die norwegischen Fangquoten so festgesetzt werden, dass sie ihre Einkünfte auch in Zukunft sichern. Zudem wird eine nachhaltige Aquakultur als alternative Möglichkeit der Nahrungsmittel­erzeugung gesehen.

Die Barentssee liefert Beispiele dafür, wie unerwartete und oft indirekte ökologische Veränderungen, die durch Ozeanversauerung und -erwärmung hervorgerufen werden können, unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen betreffen. Um marine Ressourcen und Gebiete fairer und nachhaltiger zu verwalten, ist es nötig, Wechselwirkungen im Ökosystem genauso zu untersuchen wie die Auswirkungen auf Nutzergruppen, die unterschiedlich gut in der Lage sind, mit Veränderungen umzugehen.


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